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"Lesen" öffnet Türen

Die Lesekompetenz ist eine der Schlüsselqualifikationen, welche sich die Schülerinnen und Schüler im Verlauf ihrer Schulzeit aneignen. Der Erwerb der Lesefähigkeit ist ein Prozess, der sich über die gesamte Schulzeit hin erstreckt und individuell sehr unterschiedlich verläuft. Der Leseunterricht in der Grundschule muss deshalb beim Entwicklungsprozess des einzelnen Kindes ansetzen, was einen hohen Grad des Individualisierens voraussetzt. Dazu gehört auch, dass verschiedene Formen des Lesens geübt und gepflegt werden. [...]

 

Lesen als Erlebnis
[...] Freies Lesen soll nicht nur als "Füller" dienen, wenn eine andere Arbeit abgeschlossen ist, sondern stellt einen eigenen Wert dar, der gepflegt wird.

 

Gerade weil die Lesekompetenz die Basis fast allen Unterrichts ist, besteht die Gefahr, dass das genussvolle Lesen in der Schule zu kurz kommt. Die Lektüre eines Textes hat immer Konsequenzen: Aufgaben sind zu lösen, Fragen zu beantworten, Interpretationen zu formulieren, Zusammenhänge zu analysieren, Zusammenfassungen zu schreiben etc. Alle diese Aufgabenstellungen sind unbestritten und gehören zur Schule. Gleichzeitig ist es aber wichtig, neben dem analytischen Textverständnis auch das individuelle "genießende" Lesen zu pflegen.

 

Innerhalb der Unterrichtszeit werden Zeiträume definiert, welche für die individuelle Lektüre reserviert sind. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden selber, was sie lesen. Je nach Niveau und Jahrgangsstufe werden Eckwerte vereinbart. Ab der 2./3.
Klasse wird empfohlen, für eine offene Lesephase mindestens 30 Minuten einzusetzen.

 

Es besteht keine Rechenschaftspflicht über das Gelesene. Es ist aber unbedingt die Möglichkeit zum freiwilligen Austausch zu schaffen, denn zum individuellen Lesen gehört auch die Kommunikation von Leseerlebnissen.

 

Lesen wird dann zum gemeinschaftlichen Erlebnis, wenn es gelingt, eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen. Konkret bedeutet dies, dass alle – auch die Lehrperson – lesen und dass die sonst übliche Sitzordnung durchbrochen werden kann.

 

Lesen ist nicht gleich Vorlesen
Die weitaus häufigste Form des Lesens im Alltags- und Berufsleben ist das stille Lesen, das Vorlesen stellt eine Ausnahmesituation dar. Beide Formen des Lesens haben unterschiedliche Zielsetzungen: Stilles Lesen ist ein primär introvertierter Prozess und bedeutet, sich einen Text im individuellen Tempo anzueignen. Vorlesen ist nach außen gerichtet und hat die Präsentation eines Inhalts zum Ziel.

 

Das spontane Vorlesen eines unbekannten Textes und insbesondere eines Sachtextes setzt voraus, dass die Schüler/innen den Text lesetechnisch und inhaltlich erfassen und zugleich auch noch gestalten können. Das Vorlesen konfrontiert die Kinder somit mit einer Vielfalt von Anforderungen. Das Vorlesen sollte deshalb in der Regel vorbereitet werden [...].

 

Eine flüssige Vorleseleistung ist noch keine Garantie dafür, dass der Inhalt des Textes erfasst wurde. Und umgekehrt: Wenn eine Schülerin oder ein Schüler Mühe hat, einen Text laut vorzulesen, bedeutet dies nicht zwingend, dass der Text nicht verstanden wird.

 

Dem stillen Lesen im Unterricht soll ein größeres Gewicht gegeben werden. Wer die Möglichkeit hat, sich zuerst im eigenen Tempo mit einem Text auseinanderzusetzen, wird besser befähigt, der anschließenden gemeinsamen Weiterbearbeitung zu folgen und sich aktiv einzubringen.

 

Die Aufforderung, einen Text still zu erlesen, soll mit einem differenzierten Arbeitsauftrag verbunden werden, der schnell Lesenden das selbstständige Weiterarbeiten ermöglicht und unproduktive Wartephasen verhindert. Auch kann so vermieden werden, dass sich das Unterrichtstempo einseitig an den langsam Lesenden orientiert.

 

Die Beurteilung und Benotung von Lesen/Textverständnis darf sich nicht einseitig auf die Fähigkeit des spontanen, gestaltenden Vorlesens abstützen.


Echte Vorlesesituationen schaffen
Vorlesen in Partnerarbeit: Ein Schüler, eine Schülerin liest vor, der Partner oder die Partnerin hat den Auftrag, mitzulesen und zu korrigieren. Indem das Mitlesen mit einem konkreten Auftrag verbunden ist, ergibt es Sinn, das eigene Lesetempo der vorlesenden Person anzupassen.

 

In den höheren Klasse ist auch das Lesen in Gruppen möglich: Pro Gruppe ist ein Buch vorhanden, das von Hand zu Hand wandert. Es bestehen klare Abmachungen darüber, wie viel maximal am Stück gelesen werden darf. Jede Schülerin, jeder Schüler entscheidet selber, wann sie oder er innerhalb der Vorgaben das Buch weiterreicht.

 

Vorlesen im Kreis: Diese Leseform erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Das Buch wandert im Kreis; die Schülerinnen und Schüler bestimmen selber, wem sie das Buch weitergeben. Die Sitzordnung im Kreis erleichtert das entspannte Lesen, weil der Stimmaufwand kleiner ist als in der frontalen Sitzordnung. Wie in der Gruppe wird die maximale Lesequantität pro Person vereinbart. [...]

 

Fragen statt Antworten
[...] Anstatt dass die Lehrperson Kontrollfragen zum Gelesenen stellt, erhalten die Schüler/innen einzeln oder in Partnerarbeit den Auftrag, selber Fragen zum Text zu formulieren. Häufig erübrigt sich die detaillierte Beantwortung, weil bereits aus der Frage klar wird, dass der Text verstanden wurde.

 

Fragen der Lehrperson setzen dort ein, wo die Kinder an Grenzen stoßen, und ergänzen die Schülerinnen- und Schülerfragen. [...]

 

Mit Vorlesen Motivation schaffen
Indem die Lehrperson selber vorliest, gibt sie den Kindern die Möglichkeit, in einer Geschichte emotional mitzugehen und zu genießen. Vor allem auch schwächere Schülerinnen und Schüler können so erleben, dass Geschichten und Bücher attraktiv sind, auch wenn sie beim selbstständigen Lesen noch Mühe haben. Mit Vorlesesequenzen kann die Klasse gezielt an längere Texte herangeführt werden. Das Erfassen und Verarbeiten von Zusammenhängen und komplexeren Handlungsabläufen wird so unbelastet von Anforderungen bezüglich der individuellen Lesetechnik gefördert.

 

(aus: Erziehungs- und Kulturdirektion - Kanton Basel-Landschaft - Amt für Volksschulen: Lesen - Didaktische Hinweise Primarschule 03-2007)

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