Sekundarstufe I - Die Arbeit mit Antolin
Am Beispiel der Realschule Schloß Holte-Stukenbrock zeigt die Lehrerin Barbara Beiner-Meßing die Einsatzmöglichkeiten des Leseportals Antolin im Bereich der Sekundarstufe I auf: Das Leseportal AntolinLesen können und das Gelesene verstehen können sind Grundkompetenzen, auf denen weitere wesentliche Fähigkeiten aufbauen. Die Vermittlung von Lesetechniken und die Leseförderung sind fundamentale Aufgaben der Schule. Eine Möglichkeit, die Leseentwicklung zu unterstützen, ist die Arbeit mit Antolin. Das Online-Programm www.antolin.de wurde ursprünglich für die Grundschule entwickelt, hat sich aber im Laufe der letzten Jahre stetig erweitert und bietet inzwischen auch zu mehr als 3000 Jugendbüchern und Lehrwerken ab Klasse 5 Quizfragen an. So arbeiten Grundschulen mit Antolin
Antolin sieht eine sehr individuelle Arbeit vor. Zu Hause oder auch in der Schule bearbeiten Schülerinnen und Schüler Fragen zu Büchern, Lehrwerkstexten und Spielregeln. Mittlerweile gibt es in vielen Schulen bereits die sogenannten "Antolin-Stunden", in denen Kinder lesen bzw. am Computer Fragen beantworten. Erleichtert wird diese Arbeit durch eine gut sortierte Schülerbücherei. Wodurch unterscheiden sich Grundschulen und weiterführende Schulen im Bezug auf Antolin?
Grundsätzlich ist die "Antolin-Arbeitsweise" der Grundschulen auf die weiterführenden Schulen durchaus übertragbar. Geht man jedoch von Jugendbüchern, aber auch schon von den so genannten Lehrwerkstexten aus, stellt man schnell fest, dass die Texte zu komplex sind, um sie insgesamt während einer "Antolin-Stunde" zu lesen und die Fragen zu beantworten. Es bedarf einer längeren Lesezeit und für die Lehrwerkstexte in den höheren Jahrgangsstufen auch der Erarbeitung im Unterricht. Beobachtet man die Leseentwicklung von Kindern und Jugendlichen, kann man ungefähr nach dem 6. Schuljahr (Ausnahmen bestätigen die Regel) einen "Leseknick" feststellen. Jugendliche lesen weniger. Bücher gelten als "uncool", andere Interessen werden wichtiger. Während Kinder noch viele gängige Kinderbücher kennen, erreichen auch thematisch für sie möglicherweise interessante Bücher kaum noch die Jugendlichen. Da die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die ungern lesen, mit zunehmendem Lebensalter wächst, kann man also nicht davon ausgehen, dass viele Schülerinnen und Schüler zu Hause freiwillig mit Antolin arbeiten bzw. in der Schule still lesen oder in Ruhe am Computer mit Jugendbüchern arbeiten. Die Arbeit mit Antolin wirkt dem Desinteresse entgegen. Antolin entwickelt Leseinteressen (weiter) und steigert die Textkompetenz. In diesem Sinn fördert Antolin die Leseentwicklung. Aber: Darf man Jugendliche zur Arbeit mit Antolin verpflichten? Lesen soll doch Freude bereiten. Schließt das nicht den Zwang zum Lesen aus? Die Antwort kann hier nicht uneingeschränkt "ja" oder "nein" lauten. Meistens sind Lernen und Trainieren eine Voraussetzung für das Können und letztlich auch das Genießen einer beherrschten Tätigkeit. Antolin ist natürlich weder Wunder- noch Allheilmittel, aber ein sinnvoller Baustein im Bereich der Leseförderung - auch, vielleicht sogar gerade, im Bereich der Sekundarstufe I. Antolin an der Realschule Schloß Holte-Stukenbrock
Seit Juni 2008 wird Antolin an der Realschule Schloß Holte-Stukenbrock zur Leseförderung eingesetzt. Diese Realschule besuchen im Schuljahr 2009/2010 ca. 700 Mädchen und Jungen der Jahrgangsstufen 5 bis 10. Sie werden von 35 Kolleginnen und Kollegen unterrichtet. Die Arbeit mit Antolin wird von einer jahrgangsstufenübergreifenden Arbeitsgemeinschaft unter der Anleitung der Lehrerin Barbara Beiner-Meßing betreut. Der AG gehören 12 Schülerinnen der Jahrgangsstufen 7 bis 10 an. Zurzeit nehmen leider keine Jungen regelmäßig an der AG teil, einige engagieren sich aber für Einzelprojekte wie z. B. die unten beschriebene Arbeit an Leitthemen. Die Entwicklung unseres Antolin-Konzeptes verstehen wir als dynamischen Prozess. Veränderungen sind dabei vorgesehen und auch ausdrücklich erwünscht, denn die Arbeitsweise der AG muss sich stark an den Jugendlichen orientieren, die ihr angehören.
Das Konzept steht auf drei Säulen: Säule A: Das selbstständiges Beantworten von Quizfragen zu Büchern ab Klasse 5
Wir gehen zunächst von den Möglichkeiten des ursprünglichen Antolin aus, die natürlich in die Sekundarstufe übertragen werden können. So können alle Schülerinnen und Schüler selbstständig zu Hause oder auch zur AG-Zeit im Computerraum der Schule mit Antolin arbeiten und neue Punkte sammeln. Um eine "Leseentwicklung" zu erreichen, dürfen die Schülerinnen und Schüler nur Quizfragen bearbeiten, die sich auf ihre eigene Jahrgangsstufe, eine darunter liegende oder alle höheren Jahrgangsstufen beziehen. Alle anders erworbenen Punkte werden gelöscht. Dadurch wird gewährleistet, dass z. B. ein Mädchen aus der achten Klasse keine Punkte durch das Lesen und Bearbeiten des Werkes "Ronja Räubertochter" (eingestuft ab Klasse 5) erzielt. Der Fünftklässler, der bereits "Harry Potter und der Halbblutprinz" (eingestuft als Jugendbuch 7. - 10. Klasse) gelesen hat, darf aber gerne seine Punkte behalten. So kann altersangemessene Leseentwicklung erreicht werden. Außerdem sind so die Punktekonten der älteren und die der jüngeren Schülerinnen und Schüler prozentual vergleichbar. Die Top Ten der Lesepunkte einzelner Schülerinnen und Schüler und der Klassen insgesamt werden schulintern veröffentlicht. Am Ende des Schuljahres bekommen alle Schülerinnen und Schüler, die mehr als 500 Punkte erworben haben, Urkunden. Der Schulsieger bzw. die Schulsiegerin erhält einen Wanderpokal, der vom Förderverein gestiftet worden ist. Wenn der Pokal dreimal in Folge erworben wird, darf er behalten werden! Im letzten Jahr wurde außerdem für die Top 30 ein Ausflug zu einem international bekannten Tennisturnier gesponsert. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob ein derartiger Wettbewerb das Lesen fördert. Es entsteht jedoch ein positiver Anreiz, der den einen oder die andere möglicherweise durchaus motiviert. Der Wettbewerb bringt Antolin und damit auch das Lesen ins Gespräch. Lesen gewinnt an "Coolness" und damit ist ja im Kampf gegen die Unlust schon ein kleiner Etappensieg erzielt. Säule B: Die Arbeit mit Antolin im Deutschunterricht
Antolin kann inzwischen zu einem Großteil in die für die einzelnen Jahrgangsstufen vorgesehenen Unterrichtsreihen integriert werden. Zum Beispiel können neben anderen methodischen Zugängen die Kurzgeschichten Wolfgang Borcherts in der Jahrgangsstufe 9 auch mit Antolin-Quizfragen bearbeitet werden. Die Quizfragen beziehen sich auf die angegebenen Lesebuchtexte unseres Deutschlehrwerks bzw. auf die vereinbarten Ergänzungstexte. Natürlich ist der Einsatz von Antolin nicht immer sinnvoll ist. Es kann nicht darum gehen, Antolin um jeden Preis zu integrieren, sondern darum, Antolin dann mit Unterrichtsinhalten zu kombinieren, wenn dies sinnvoll ist. Die Deutschlehrkräfte entscheiden, ob sie gemeinsam mit der ganzen Klasse im Computerraum mit Antolin arbeiten, ob die Schülerinnen und Schüler einzelne Quizfragen als Hausaufgabe aufbekommen oder ob die Bearbeitung der Quizfragen freiwillig genutzt werden kann, z. B. als Vorbereitungsmöglichkeit für Klassenarbeiten. Das Alter der Jugendlichen spielt natürlich bei dieser Entscheidung eine wichtige Rolle. Antolin wird auf diesem Weg zum alltäglichen Unterrichtsmedium, das - genau wie andere Medien und Methoden auch - immer mal wieder in den Unterrichtsablauf eingebunden wird. Ganz nebenbei sucht die eine oder der andere dabei vielleicht einmal nach Jugendbüchern zu interessanten Themen oder arbeitet an einem anderen Quiz. Die Auseinandersetzung mit Jugendliteratur wird immer mehr zur Alltäglichkeit. Bei den Schülerinnen und Schülern, die sich auf eine regelmäßige Arbeit mit Antolin eingelassen haben, ist eine deutliche, quantitative und qualitative Leseentwicklung zu beobachten. Eine Schülerin drückt das so aus: "Seit ich mit Antolin arbeite, lese ich viel mehr und ich lese schwierigere Bücher!" Ein anderer, besonders für Lehrkräfte wichtiger Gesichtspunkt ist, dass die hier beschriebene Auseinandersetzung auch die Textkompetenz im analytischen Sinn stärker fördert als Säule A. In den Quizfragen, die sich auf das Deutschlehrwerk als Leitmedium oder andere mit dem Fachkollegium vereinbarte Texte beziehen, kommen auch stilistische, form- und gattungsspezifische Fragen vor. Diese Quizfragen können deshalb auch für die Vorbereitung der Lernstandserhebungen genutzt werden. Die statistischen Auswertungen, die Antolin bietet, geben den Lehrkräften einen Einblick in die Leseentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler - der Punktestand ist aber natürlich kein Bewertungskriterium für die Deutschnote. In die Note "Sonstige Mitarbeit" können allerdings die Quizfragen einbezogen werden, die im Unterricht besprochene Inhalte wie z. B. Lehrwerkstexte oder Lektüren aufgreifen. Hier gilt allerdings nicht die Anzahl der Punkte oder die Prozentangabe hinsichtlich des Leseverstehens als Maßstab, sondern die Regelmäßigkeit der Mitarbeit. In diesem Sinn unterstützt die Arbeit mit Antolin langfristig die Schülerinnen und Schülern in allen Belangen von Textarbeit. Säule C: Antolin entwickelt sich und uns weiter
Der Antolin-Herausgeber wurde im Herbst 2008 auf unsere systematische und konsequente Arbeit mit Antolin, die im Bereich der Sekundarstufe I noch selten ist, aufmerksam. Es entstand ein Kontakt, den beide Seiten als kreativ, spannend und intellektuell-fruchtbar beschreiben. Die Jugendlichen, die gerne und konsequent mit Antolin bzw. in der AG arbeiten, wollten schnell eigene Quizfragen zunächst zu ihren jeweiligen Lieblingsbüchern, später zu einigen Lehrwerkstexten erstellen. In der Auseinandersetzung mit dem Antolin-Team machen die Schülerinnen die Erfahrung, wie wichtig die Überarbeitung von Texten ist, und lernen, andere Meinungen und Vorstellungen zu akzeptieren, zu durchdenken und inhaltliche Kompromisse in Texten umzusetzen. Im April 2009 haben Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse ein Leitthema "Magische Welten", das sich auf Figuren und Orte J. K. Rowlings bezieht, in Antolin veröffentlicht. Hier finden sich neben Lesetipps auch selbst geschriebene, am prominenten Vorbild orientierte Texte. Ein weiteres Leitthema "Vampire" ist im Januar 2010 erschienen. Auch hier sind eigene Texte und Illustrationen ein Bestandteil. Weitere Beiträge der Antolin-AG sind für das Jahr 2010 geplant. Eineinhalb Jahre Antolin-Arbeit an unserer Realschule haben dazu geführt, dass wir eine Menge neuer Jugendbücher kennen gelernt haben. Aus diesem Grund werden die Schülerinnen der AG gemeinsam mit zwei Lehrerinnen von November (Herbstferien) bis voraussichtlich März (Osterferien) Themenwochen durchführen, in denen Jugendbücher in thematischer Zuordnung in sogenannten Lesepausen in der Schülerbücherei vorgestellt werden sollen. Die älteren Schülerinnen haben einerseits ihr Wissens über Jugendbücher erweitert und an Textkompetenz im Sinn des Erstellens eigener Quizfragen gewonnen. Andererseits haben sie inzwischen so viel Selbstbewusstsein gesammelt, dass sie Antolin-Einführungen für jüngere Schülerinnen und Schüler selbst gestalten und ihnen das erworbene Wissen vermitteln. Sie moderieren den jährlichen Lesewettbewerb der Schule und sitzen auch in der Jury. Am Tag der Offenen Tür präsentierten die AG-Schülerinnen interessierten Kindern und Eltern ihre Arbeit direkt im Computerraum der Schule. Diese besonders intensive Arbeit mit den AG-Mädchen verstehe ich auch als Maßnahme der individuellen Förderung besonders begabter Jugendlicher. Fazit
Antolin ist auf jeden Fall ein Gewinn für jede weiterführende Schule und eine sehr motivierende Möglichkeit, Jugendlichen (Jugend-)Literatur näher zu bringen. Aus diesem Grunde ist es wünschenswert, dass dieses Literaturportal ehemalige Grundschulkinder auf ihrem Weg an die weiterführenden Schulen begleitet und ihnen auch dort zur Verfügung steht.
Barbara Beiner-Meßing